MAV Plakatleinwand Aufn  17 03 2016

Aufnahme: A. Ziesmann

Seelische Erkrankungen

Hinsehen und handeln!
Psychische Erkrankungen nehmen zu. Mitverantwortlich dafür sind auch steigende Belastungen am Arbeitsplatz. Was können Betriebe vorbeugend und im Krankheitsfall tun?
Nach einer Prognose der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden im Jahr 2020 Angststörungen und Depressionen im Ranking der „größten Leiden der Menschheit“ Platz 2 und 3 einnehmen – hinter Herzinfarkt und vor Verkehrsunfällen. Tatsächlich steigt die Zahl psychischer Erkrankungen Jahr für Jahr.

Nach einer EU-weiten wissenschaftlichen Studie machen jede dritte Frau und jeder fünfte Mann im Laufe des Lebens mindestens einmal eine seelische Erkrankung durch. Psychische Störungen sind inzwischen die vierthäufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit. Fachleute führen diese Entwicklung jedoch nicht allein auf zunehmende Belastungen zurück, sondern auch auf eine sensiblere Wahrnehmung bei Betroffenen wie Ärzten. Das gesellschaftliche Verständnis für seelische Krisen und psychische Symptome scheint generell gewachsen.

Ursachen und Folgen
In Deutschland leiden etwa acht Millionen Menschen im Alter zwischen 18 und 65 Jahren unter einer Behandlungsbedürftigen psychischen Störung. Die Ursachen sind vielschichtig: Sie beruhen auf einer Wechselwirkung von biologischen, psychischen und sozialen Faktoren. So kann es beispielsweise bei entsprechender Veranlagung durch eine Lebenskrise, wie der Tod eines Angehörigen, zum Ausbruch einer Erkrankung kommen.

Psychische Störungen und Erkrankungen können nur von Fachleuten diagnostiziert werden. Selbst bei gleichlautenden Diagnosen sind die Auswirkungen und der Verlauf einer Erkrankung oft sehr verschieden. Wer seelisch erkrankt ist, kann wieder vollständig gesund werden. Es ist aber auch möglich, dass die Erkrankung chronisch verläuft und sich zu einer Behinderung entwickelt.

Eine seelische Behinderung liegt vor, wenn als Folge einer psychischen Erkrankung längerfristige oder dauerhafte Störungen auftreten und dadurch die Alltagsbewältigung, die Erwerbsfähigkeit und die soziale Integration erheblich beeinträchtigt sind. Vielen Menschen mit einer seelischen Erkrankung fällt es schwer, sich zu ihrer Behinderung zu bekennen. Manchen fehlt krankheitsbedingt die Einsicht, erkrankt zu sein. Andere fürchten sich davor, als „verrückt“ abgestempelt und ausgegrenzt zu werden. Sie lehnen daher auch einen Schwerbehindertenausweis ab. Dies ist insofern problematisch, weil sie damit auch auf Fördermöglichkeiten durch das Integrationsamt und auf den besonderen Kündigungsschutz verzichten. Eine wichtige Aufgabe der Schwerbehindertenvertretung ist es daher, die Betroffenen entsprechend zu beraten und bei der Antragstellung zu unterstützen.

Umgang mit psychischen Krisen
Psychische Störungen zeigen sich meist besonders deutlich am Arbeitsplatz: Die erkrankte Person reagiert auf Stress und Druck schnell überfordert und kann selbst übliche Leistungsanforderungen nicht mehr erfüllen. Die Fehlzeiten nehmen zu. Auch die Beziehungen sind oft gestört: Konflikte mit Kollegen und Vorgesetzten, die das „seltsame“ Verhalten nicht verstehen, führen dazu, dass sich der Betroffene immer mehr zurückzieht. Die Situation kann so weit eskalieren, dass das Arbeitsverhältnis ernsthaft gefährdet ist.

Aber auch die Arbeit selbst kann die Seele belasten und eine psychische Krise auslösen. Als wichtigste Belastungsfaktoren nannten Arbeitsschutzexperten in einer Befragung der Initiative Gesundheit und Arbeit aus dem Jahr 2004 „Zeitdruck“, „schlechtes Führungsverhalten“ und „Arbeitsplatzunsicherheit“. Dem betrieblichen Umfeld kommt daher eine wichtige Rolle zu beim Umgang mit seelischen Krankheiten und Krisen. Wie sollen Vorgesetzte, Kollegen oder das betriebliche Integrationsteam reagieren? Dafür gibt es zwar keine Standardlösung, aber vier Grundregeln, an denen man sich orientieren kann:
1. Hinschauen und der eigenen Wahrnehmung trauen.
2. Handeln, wenn es nötig erscheint.
3. Professionelle Hilfe organisieren.
4. Sich nicht selbst überfordern.

Hilfe im Einzelfall
Ein wichtiger Ansprechpartner für Betriebe, die Unterstützung beim Umgang mit psychisch erkrankten Mitarbeitern suchen, ist der Integrationsfachdienst. Er berät und begleitet Betroffene und das betriebliche Umfeld auch bei der Suche nach Lösungen im Einzelfall. Beispiele für mögliche Maßnahmen sind: stufenweise Wiedereingliederung, Umsetzung, Anpassung der Arbeitsinhalte oder der Arbeitszeit sowie eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes.

Seelische Belastungen vermeiden
Darüber hinaus sollten sich Betriebe aber auch die Frage stellen, was sie tun können, um psychische Belastungen am Arbeitsplatz generell zu reduzieren und die seelische Gesundheit der Belegschaft zu fördern. Ein erster Schritt könnte sein, die Beschäftigten für das Tabu-Thema „psychische Krisen“ zu sensibilisieren, zum Beispiel durch eine Befragung der Mitarbeiter und entsprechende Schulungen für Führungskräfte. Wichtig ist auch, ein Klima des Vertrauens zu schaffen, in dem Mitarbeiter ermutigt werden, Probleme frühzeitig anzusprechen. Trotz sachlicher Zwänge haben Führungskräfte durchaus Gestaltungsspielräume, die Arbeitsbedingungen so zu beeinflussen, dass unnötige Belastungen vermieden werden. Dies erfordert Kompetenz in der Personalführung, die der Betrieb fördern sollte. Wo ein wertschätzender Umgang miteinander gepflegt und der Einsatz der Mitarbeiter honoriert wird, hat auch Mobbing mit seinen seelischen Verletzungen wenig Chancen.

Seelische Erkrankungen
Man kann grob drei Gruppen unterscheiden:
Bei den neurotischen Störungen spielt die Angst eine zentrale Rolle. Neurotische Verhaltensweisen dienen dazu, Ängste zu bewältigen und zu kontrollieren. In Stresssituationen kommt es zum psychischen Zusammenbruch oder der Betroffene verhält sich plötzlich auffällig. Zu den neurotischen Störungen zählen Phobien – übersteigerte Ängste vor bestimmten Dingen oder Situationen – sowie Zwänge und psychosomatische Erkrankungen.

Affektive Störungen: Bekannteste Beispiele sind die Depression und ihr euphorisch-gereiztes Gegenstück, die Manie. Wenn beide im Wechsel auftreten, spricht man von einer bipolaren oder manisch-depressiven Störung.

Bei psychotischen Störungen, zu denen auch Schizophrenien gehören, stehen Störungen von Wahrnehmung, Bewusstsein, Gefühlen und Denken im Vordergrund. Ein wesentliches Merkmal ist der Verlauf in Phasen. In akuten Phasen leiden die Betroffenen unter einer starken Einschränkung der Wahrnehmung der äußeren Wirklichkeit bis hin zu Wahnvorstellungen. Sie fühlen sich grundlegend unverstanden oder sogar verfolgt, verschließen sich ihrer Umwelt und reagieren oft panisch. Manche hören Stimmen oder haben Halluzinationen.

Quelle: Nach Klassifikation ICD - 10/WHO 2006

Aus ZB-Info 3/2007